Startseite / Agenda / Ansprache Seiner Majestät des Königs an die hohen Amtsträger des Landes

Ansprache Seiner Majestät des Königs an die hohen Amtsträger des Landes

31 Januar 2017

Ansprache Seiner Majestät des Königs
an die hohen Amtsträger des Landes
Brüssel, 31 Januar 2017

Herr Premierminister,

Ich danke Ihnen für Ihre Wünsche.  Auch ich wünsche Ihnen persönlich sowie allen hier anwesenden Vertretern unseres Landes ein schönes Neues Jahr.    

Meine Damen und Herren,

Ich heisse Sie alle von Herzen willkommen.  Und ich freue mich ganz besonders, dass heute auch Sie, die Jüngeren, anwesend sind.  Denn unser Leben von morgen hängt immer mehr von den Entscheidungen ab, die wir heute treffen müssen.

2016 wird uns in Erinnerung bleiben als das Jahr, in dem zwei grosse befreundete Länder beschlossen haben, sich stärker auf sich selbst zu konzentrieren.  Beide Länder sind Weltführer, seit jeher Kernländer der Demokratie und Freiheit.  Sie haben die Weltordnung mitbegründet, wie wir sie heute kennen.  Sie haben mitgeholfen, Europa zu bauen und wiederaufzubauen, insbesondere durch ihren mutigen Einsatz während der bewaffneten Konflikte, die unseren Kontinent zerrissen haben.  Mit ihrer neuen Haltung scheinen sie den Lauf der Geschichte umkehren zu wollen, und brechen sie mit ihrer eigenen Tradition der Offenheit und Freizügigkeit, ihrem Bekenntnis zu unserem gemeinsamen Traum und Engagement.

Diese Ereignisse illustrieren eine allgemein herrschende Vertrauenskrise in der westlichen Welt.  Mehr und mehr Mitbürger verlieren das Vertrauen in unsere repräsentativen Demokratien und manchmal sogar in die Zukunft.  Wir dürfen nicht zulassen, dass dieses Vertrauensdefizit noch grösser wird.  Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind so gewaltig und dringend, dass es umso wichtiger ist, das Vertrauen in uns selber und in unsere Institutionen zu bewahren.

Die neuen Technologien eröffnen uns zweifellos beträchtliche Fortschrittsmöglichkeiten.  Die digitale Revolution kann aber auch die Illusion wecken, dass wir alles wissen, alles beherrschen, alles selbst in die Hand nehmen können, und die Institutionen deshalb - letztendlich – überflüssig sind.  Im Licht der Wirklichkeit wird diese Illusion der Allmacht für viele eine Quelle der Frustration.  Paradoxerweise trägt die digitale Revolution so auch dazu bei, die Distanz zwischen dem Einzelnen und den Institutionen zu vergrössern.

Wenn Zweifel und Misstrauen mehr und mehr an Boden gewinnen, wird es für die Amtsträger immer schwieriger, das Vertrauen der Bürger zu bewahren und sie für die gemeinsamen Ideale zu sensibilisieren.  Gerade deswegen ist unsere Verantwortung noch umso grösser.  Vertrauen schafft man durch einen wahrheitsgestützten, offenen und ehrlichen Diskurs und durch Taten, die damit im Einklang stehen.

Wir müssen zunächst und vor allem durch unser Tun überzeugen.  Durch redliches und ehrliches Handeln im Dienste des Allgemeininteresses.  Indem wir weiter daran arbeiten, eine menschlichere Gesellschaft aufzubauen und unsere Wirtschaft anzukurbeln.  Wir haben heute in Belgien eine steigende Beschäftigung, unsere Wettbewerbsfähigkeit wächst, und unser Export nimmt wieder an Fahrt auf.  Das sind erfreuliche und konkrete Resultate, die unsere Regierungen, unsere Unternehmen und unsere Bürger gemeinsam errungen haben.  Gehen wir den eingeschlagenen Weg weiter.  Mit den vereinten Kräften des öffentlichen und des privaten Sektors.  Durch einen optimalen Einsatz der Technologie.  Vor allem in den Städten mit ihren sog. ‘smart city’-Strategien, die gleichsam die menschliche, solidarische und inklusive Dimension umsetzen.  Wir wissen, dass in den kommenden dreissig Jahren mehr als 70% der Weltbevölkerung in einer urbanen Umgebung leben wird.  Die intelligente Veränderung unserer Lebensumgebung ist deshalb eine Chance, die wir ergreifen sollten.

Neben den Taten zählen auch die Worte.  Sie müssen motivieren und mobilisieren.  Die Entscheidungen, die getroffen werden müssen, um das Allgemeinwohl zu schützen, sind natürlich komplex.  Doch können sie verständlich erklärt, und somit begriffen und akzeptiert werden.  Wer versucht, die Wahrheit zu entstellen oder unsere Gesellschaft zu spalten, gefährdet damit unsere Demokratie.  Denn diese basiert auf so fundamentalen Werten wie dem Bedürfnis nach Wahrheit, Respekt und Mässigung.  Mit unseren Worten und Taten müssen wir alles unternehmen, um die Initiativen zu unterstützen, die verbinden und konstruktiv sind. 

Mehr denn je können wir das Vertrauen auch durch ein starkes Engagement in Europa und der Welt zurückgewinnen.  Denn die grossen Herausforderungen, vor denen wir stehen - Einhaltung der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung, Sicherung des Friedens, Bevölkerungsexplosion, Klimawandel, ausgewogener internationler Handel -  haben einen direkten Einfluss auf unsere Lebensweise.  Sie können unmöglich in einem ausschliesslich nationalen Rahmen gelöst werden. Deshalb müssen wir weiter die weltweite Zusammenarbeit fördern.  Ich freue mich in diesem Zusammmenhang, dass Belgien für den Zeitraum 2019-2020 erneut Kandidat für ein Mandat im UN-Sicherheitsrat ist.  Die Königin und ich setzen uns persönlich für dieses Ziel ein.

Im März dieses Jahres feiern wir den 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge.  Unsere gemeinsame Geschichte beruht auf der Gründungserfahrung der Versöhnung nach einem zerstörerischen Krieg zwischen Brüdervölkern.  Dank dieser Versöhnung können wir friedlich auf unsere Vergangenheit zurückblicken.  Wir wissen, was wir niemals wieder wollen.  Blicken wir gemeinsam in die Zukunft.  Begreifen wir diesen Moment als eine neue Chance für Europa.  Bauen wir weiter an einem Europa, in dem unsere nationalen Identitäten durch Zusammenarbeit gestärkt statt durch gegenseitige Konfrontation geschwächt werden.  Indem wir konkrete Fortschritte erzielen, vor allem auf dem Gebiet der Sicherheit und Immigration.  Indem wir das Funktionieren Europas und seine historische Bedeutung deutlich machen.  Nur so wird das Vertrauen in Europa zurückkehren.  

Meine Damen und Herren,

Wir werden das Vertrauen nicht dadurch wiederherstellen, indem wir aus utopischer Nostalgie heraus die Uhr zurückdrehen, oder indem wir Mauern errichten.  Wir werden es aber gemeinsam schaffen, indem wir offen und ehrlich reden, und mit konkreten Taten auf die Herausforderungen unseres Landes und der übrigen Welt antworten. 

Die Königin und ich wünschen Ihnen ein erfolgreiches und glückliches Jahr 2017.