Rede Seiner Majestät des Königs der Belgier aus Anlass des Staatsbesuchs Seiner Exzellenz Ignazio Cassis Bundespräsident der Schweizerischen Eidgenossenschaft Schloss Laeken, 24. November 2022

Sehr geehrter Herr Bundespräsident der Schweizerischen Eidgenossenschaft,
Sehr geehrte Frau Rodoni Cassis,
Die Königin und ich heissen Sie und Ihre Delegation herzlichst im Schloss von Laeken willkommen.
Unsere beiden Länder kennen sich gut. Nur 360 Kilometer trennen die Grenzstädte Arlon und Basel, trennen unser flaches Land von Ihrem Alpenland. Zwei Sprachen verbinden uns, aber auch die europäische Geschichte, an der unsere Länder aktiv beteiligt sind. Unser Völker gehörten jahrhundertelang gemeinsam zum Fränkischen Reich. Als dieses durch den Vertrag von Verdun 843 geteilt wurde, blieben Teile unseres und Ihres heutigen Staatsgebietes im Mittelreich zusammen, wo wir uns in gewisser Weise immer noch befinden: zwischen Deutschland und Frankreich. Belgien bestand kaum 18 Jahre, als die moderne Schweiz nach dem Sonderbundskrieg entstand.
Seitdem haben sich unsere Länder schnell entwickelt. Zuerst gegen, heute mit ihren Nachbarn.
Herr Bundespräsident,
Sehr geehrte Frau Rodoni Cassis,
Wie viele Belgier ist auch meine Familie dem Charme Ihres Landes erlegen. 1898 kaufte Prinz Philipp, Graf von Flandern, die Villa Haslihorn, eine Residenz in Horw. Während seines Aufenthalts dort ging seine Frau, Marie von Hohenzollern-Sigmaringen, oft hinaus, um die Landschaften am Ufer des Vierwaldstättersees zu zeichnen und zu malen. Mein Urgroßvater, König Albert I., nahm Haslihorn gerne als Ausgangspunkt für seine Bergwanderungen. Hier hat er inkognito, aber mit Leidenschaft, viel Bergsteigen betrieben.
Während der Regentschaft nach dem Zweiten Weltkrieg lebte König Leopold III, mein Großvater, mit seiner Familie in Pregny.
So gingen seine Kinder in jenen Jahren in der Schweiz zur Schule. Mein Onkel, der verstorbene König Baudouin, hat dort seine Ausbildung abgeschlossen. Er hat immer eine besondere Beziehung zur Schweiz gepflegt.
Und mein Vater, König Albert, erinnert sich gerne an seine Kindheit und Schulzeit in der Schweiz. Erinnerungen, die natürlich während des Staatsbesuchs mit Königin Paola an Ihrem schönen Land im Jahr 2000 hochkamen.
Herr Bundespräsident,
Mehrsprachigkeit und Multikulturalität liegen unseren beiden Ländern sehr am Herzen. Ob als Individuum oder Land: Einblick entsteht durch den Austausch mit anderen. Das spiegelt sich in unseren jeweiligen politischen Traditionen wider, wenn auch in unterschiedlicher Form: im Schweizer Konsens und im so genannten "belgischen Kompromiss".
Unsere beiden Länder sind auch durch tragische Ereignisse miteinander verbunden.
Den Tod meiner Großmutter, Königin Astrid, 1935 in Küssnacht.
Aber auch das schreckliche Schulbusunglück in Sierre im Jahr 2012, an das wir in diesem Frühjahr gemeinsam gedachten.
Und wir werden auch nie vergessen, wie die Schweiz während des Ersten Weltkriegs unsere verwundeten Soldaten, hospitalisierten Kinder und Flüchtlinge aufgenommen hat.
Herr Bundespräsident,
die Schweiz und Belgien, Länder ohne Bodenschätze, sind gezwungen, auf Innovation und höchste Qualität zu setzen.
Die Familie Piccard, in der drei Generationen von Erfindern und Entdeckern leben, verkörpert perfekt den Geist der Entdeckung und der Innovation. Ihre Beziehungen zu Belgien sind sehr vielfältig: Sie sind akademischer, technologischer und wirtschaftlicher Natur.
Aber es gibt auch ein echtes Band der Freundschaft mit meiner Familie.
Das Motto der Stiftung GESDA (Geneva Science and Diplomacy Anticipator), die Ihnen, Herr Bundespräsident, so sehr am Herzen liegt, ist "die Zukunft nutzen, um die Gegenwart zu gestalten". In diesem Geiste wünschen wir auf Grundlage der gegenseitigen Leistungen die Synergien zwischen unseren Ländern im Bereich Forschung und Entwicklung weiter zu vertiefen.
Aber auch die Binnenschifffahrt auf dem Rhein wollen wir stärken, wodurch Antwerpen und Basel direkt miteinander Handel treiben können.
Unsere beiden Volkswirtschaften sind exportorientiert und unsere wichtigsten Partner liegen natürlich in Europa. Das gilt auch für unsere Politik: Die Verteidigung der Menschenrechte, die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und die multilaterale Zusammenarbeit sind Teil unserer DNA.
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um der Schweiz herzlich zu ihrer 20-jährigen Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen und ihrer ersten Wahl in den UN-Sicherheitsrat zu gratulieren. Belgien, das selbst mehrere Male Mitglied des Sicherheitsrates war, ist von der wichtigen Rolle der nichtständigen Mitglieder überzeugt. Dies gilt umso mehr für Ihr Land, das einen ausgezeichneten Ruf genießt, der auf der verdienten Ausstrahlung seines sehr starken Images beruht.
Auch wenn wir aus historischen Gründen unterschiedliche europäische Wege eingeschlagen haben, freuen wir uns, in der Schweiz einen Partner zu haben, der so viel zur europäischen Zivilisation beigetragen hat und weiterhin beiträgt. Ich denke an den Genfer Philosophen Jean-Jacques Rousseau, den Denker Johann Pestalozzi oder den Philanthropen Henri Dunant, denen wir so viel verdanken. Ganz zu schweigen von den zahlreichen Schweizer Nobelpreisträgern für Medizin.
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
der Krieg in der Ukraine erinnert uns an die dunkelsten Seiten der Geschichte unseres Kontinents, von denen wir gehofft hatten, sie im 21. Jahrhundert nicht mehr erleben zu müssen. Wie die Schweiz verurteilen wir diese unprovozierte militärische Aggression aufs Schärfste.
Die Eidgenossenschaft hat die Wirtschaftssanktionen der Europäischen Union übernommen, eine Geste, die wir zu schätzen wissen. Wir stehen an der Seite der Ukraine. Wir werden dies auch weiterhin sein.
Meine Damen und Herren,
ich möchte mit Ihnen die starke Erinnerung teilen von meinem schon etwas länger zurückliegenden Besuch des Rotkreuz-Museums in Genf. Dort gab es eine beeindruckende Zeitleiste, die - in einer auffallenden Parallelität - die Zeiten von Kriegen und großen Pandemien darstellte und veranschaulichte, wie die von Konflikten zermürbten Bevölkerungen anschließend großen gesundheitlichen Geißeln erliegen konnten. Diese Zeitleiste habe ich nie vergessen.
Aber unsere beiden Länder haben im Laufe ihrer Geschichte bewiesen, dass wir uns gegen das stellen können, was einst als unausweichlich erschien. Die Schweiz und Belgien geben die Richtung vor, durch den unerschütterlichen Willen, in allen Bereichen des menschlichen Schaffens Fortschritte zu erzielen und sich auszuzeichnen – und so viele Menschen wie möglich daran teilhaben zu lassen.
Meine Damen und Herren,
Darf ich Sie jetzt bitten, das Glas zu erheben auf die Gesundheit von Präsident Ignazio Cassis und Frau Rodoni Cassis sowie auf die Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Belgien.